Vor über 130 Jahren (1893) wanderte Marcel Proust mit seinem Freund Louis de la Salle durch die Alpen, und jenseits der Alp Grüm äusserte er sich über die Aussicht: “Uns zur Seite schimmerten Gletscher. Zu unseren Füssen durchzogen reissende Bergbäche eine wilde Engadiner Landschaft von dunklem Grün. Dann ein geheimnisvoll anmutender Hügelzug; und dahinter malvenfarbige Hänge, die sich bald wieder öffneten, bald wieder schlossen, vor einer wahrhaft blauen Gegend, einer schimmernden Strasse auf Italien zu.” (Marcel Proust, Freuden und Tage, Gedicht XXII; 1896; übersetzt von Luzius Keller)
Die Installation Voir toujours plus loin / Immer weiter in die Ferne sehen bezieht sich speziell auf die Bahnstation Alp Grüm und darauf, wie wir den Ort heute (neu) entdecken und ihn in einem anderen Kontext wahrnehmen. Es geht hier darum, den Wanderern (oder „Flaneuren“, wie Walter Benjamin sie beschrieb) neue semantische Fakten zu bieten. So erhält der historische Bezug auf das Gebiet eine ganz besondere Bedeutung: Wie hat sich die Umwelt entwickelt? Was sieht man heute noch von der Landschaft, die sich vor 130 Jahren an derselben Stelle befand?
In diesem touristischen Hotspot, der die Alp Grüm an der zum Unesco-Kulturerbe gehörenden Bahnstrecke darstellt, werden einige Schlüsselwörter aus Prousts Text entlang eines Pfades angezeigt. Sie führen das Publikum zu einer Klangskulptur, die aus drei Röhren besteht, wie ein Fernrohr, das nach Italien gerichtet ist. Die beiden äusseren Röhren sind mit Lautsprechern ausgestattet und geben Prousts Text in fünf Sprachen wieder: Deutsch, Italienisch, Französisch, Englisch und Japanisch. Die zunächst deutlich unterscheidbaren Stimmen vermischen sich dann zunehmend und führen nach und nach zu einer Art Klang-Babel. Diese Installation ermöglicht eine Reflexion über die Wahrnehmung des Ortes, seine Entwicklung mit der Ankunft der Eisenbahn im Jahr 1911 und über unsere Fähigkeiten, „Rethink destinations“, was der Titel des Themas der Triennale Kunstwege 2023 war.
Im Rahmen der 6. Triennale Kunstwege Pontresina / Vias d’art Puntraschigna 2023 : “Rethink destinations”.
Vom 24. Juni bis 19. Oktober 2023.
Dauer der Klangloop: 2’30”
Stimmen / Voices: Mary Appel (E), Michele Esposito (I), Marek Majewsky (D), Saori Uechi (J), Corsin Vogel (F) – Tonaufnahmen / Recordings: Anja Vogel